Kapitel VI: Frachtdampfer «Johanna Oelssner» und weitere Anmerkungen
.
Anlaß zu den Nachforschungen dieses Dampfschiff betreffend war das Bild HRK01-17, auf dem ich den Schiffsnamen zunächst als «Johanna Gelssner» entziffert habe.
Mit dem Buchstaben «V» auf dem Schornstein machte ich mich auf die Suche nach deutschen Reedereien, deren Name mit «V» beginnt und die damals schon existierten und heute noch aktiv sind.
Die Reederei Vinnen in Bremen antwortete nicht.
Von der Reederei Vogemann in Hamburg erhielt ich freundlicherweise die folgende Antwort:
Sehr geehrter Herr K.,
so weit wir das sagen können, gab es so einen Schiffsnamen - Johanna Gelssner - bei uns nicht.
Das Logo im Schornstein ähnelt sehr dem unseren. Nur unser Untergrund war immer rot. Wir können Ihnen leider nicht weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen
Name
P.S. Anbei senden wir Ihnen gern unsre Firmenchronik zu. Viel Freude beim Lesen!
Diese Chronik war dann der Schlüssel zu den weiteren Nachforschungen.
Später habe ich herausgefunden, das Buch kann hier kostenfrei als PDF heruntergeladen werden:
https://silo.tips/download/tradition-zu ... h-vogemann
. HRK06-01: Umschlagbild der Vogemann Chronik.
. HRK06-02: Seite 9 der Chronik mit den Portraits des Firmengründers und seinem Nachfolger.
. HRK06-03: Seite 10 der Chronik. Hier, in dem rot umrandeten Abschnitt fand ich wesentliche Hinweise, vor allem, daß der Name des Schiffs «Johanna Oelssner» lautete. Die Erwähnung der Spedition «Gerhard & Hey» legte eine neue Spur, der ich nachging.
. HRK06-04: Schon bald konnte ich diese gediegene Jubiläumsschrift von 1906 zum 50-jährigen Bestehen der Spedition «Gerhard & Hey», Leipzig, für etwa den Preis eines gut erhaltenen Märklin Metallbaukastens #4 der 1920er Jahre erwerben.
. HRK06-05: Dem Buch konnte ich entnehmen, daß August Wilhelm Oelßner zum 1. April 1856, einen Monat nach Gründung der Firma Gerhard & Hey, dort als kaufmännischer Lehrling aufgenommen wurde. Bereits acht Jahre später wurde ihm Prokura erteilt.
1869 ehelichte er Johanna Kaestner und wurde im selben Jahr Teilhaber der Firma.
Nachdem Gerhard sich 1875 sich ins Privatleben zurückzog - Hey war bereits 1866 an Cholera verstorben - leitete Oelßner die Firma alleine bis Mitte der 1890er Jahre, als er nach und nach seinen vier Söhnen die Geschäfte übergab.
Während seiner Zeit expandierte die Firma beträchtlich, was an den gegründeten Filialbetrieben zu erkennen ist:
1869 Moskau, 1872 St. Petersburg, 1873 Libau, 1879 Reval und Lübeck, 1885 Hamburg, 1886 Riga, 1889 Odessa.
Nur fünf Wochen nach dem Jubiläumstermin 1. April 1906 verstarb Wilhelm Oelßner in Bad Kissingen.
. HRK06-06: Das Buch zeigt Bilder der Filialbetriebe, von denen hier beispielhaft die Hamburger Niederlassung gezeigt wird.
. HRK06-07: So sieht es im Hamburger Kontor aus: es wird an Stehpulten gearbeitet, jedoch nicht mehr im Stehen, wie die Barhocker vergleichbaren Sitzgelegenheiten zeigen.
. HRK06-08: Dagegen sieht es im Privatkontor deutlich repräsentativer aus. An der Wand hängt übrigens ein Bild des Hamburger Riesenkrahns.
. HRK06-09: Mit Eröffnung der Hamburger Niederlassung trat die Spedition Gerhard & Hey auch als Reederei auf, die eigene und gecharterte Dampfer bereederte. Hier der nach dem Firmenleiter benannte Frachtdampfer «Wilhelm Oelssner» mit dem Signet «G & H» der Reeederei am Schornstein. Außer den russischen Ostseehäfen werden als Reiseziele Skandinavien, Belgien, Holland und England genannt.
. HRK06-10: Die Gattin Johanna Oelßner des Firmenleiters. Sie tritt in der Jubiläumsschrift nur mit diesem Portraitfoto und als Namensgeberin des nach ihr benannten Frachtdampfers auf. Aus den Papieren dieses Schiffes ist leider nicht ersichtlich, ob sie wenigstens dessen Taufpatin gewesen ist.
. HRK06-11: Frachtdampfer «Johanna Oelssner». Einzelheiten zu diesem Schiff gehen aus den nachstehend gezeigten Papieren hervor.
. HRK06-12: Angaben zum Eintrag des Schiffes in das Schiffs-Register, Seite 1:
Unterscheidungssignal:..RHNV
Name:.............................Johanna Oelssner
Bauart und Takelung:......Schrauben-Dampfer mit Schoner-Takelung
Indizierte Pferdekraft:.....400 PSi
Brutto Raumgehalt:.........923 BRT
Bauwerft, -ort, jahr:........W. Harkess & Son, Middlesbro, 1889
Heimathafen:..................Hamburg
. HRK06-13: Angaben zum Eintrag des Schiffes in das Schiffs-Register, Seite 2:
Schiffs-Eigenthümer: Die Handelsfirma: H. Vogemann in Hamburg
Inhaber derselben ist Johann Heinrich Vogemann
. HRK06-14: Angaben zum Eintrag des Schiffes in das Schiffs-Register, Seite 3:
Schiffseigenthum beruht auf:.............Laut Kaufvertrag dd Middlesbro, den 14. August 1889
Namen und Wohnort des Capitains:...F. Sander, Vegesack
Zahl der Schiffs-Chronometer:...........Eins
Ort, Datum, Unterschrift:...................Hamburg, den 4. Juli 1889, H. Vogemann
. HRK06-15: Hersteller-Bescheinigung für Bauart, Maße, Maschinentyp und Tonnage.
Die angegebene Maschinenleistung von 99 PS erscheint für eine Dreizylinder-Verbundmaschine sehr gering.
Außerdem unterscheidet sich der Wert deutlich von den im Schiffs-Register angegebenen 400 PSi. Möglicherweise ist dieser blau unterstrichene Wert erst später nach Einbau einer stärkeren Maschine eingetragen worden.
. HRK06-16: Flaggen-Attest , Vorderseite.
. HRK06-17: Flaggen-Attest , Rückseite.
Flaggen-Attest.
Der unterzeichnete Konsul des
Deutschen Reiches zu Middlesbrough (England)
bezeugt hiermit, daß das von den
Herren Wm Harkess & Son, Middlesbrough
im hiesigen Konsulatsbezirke in
diesem Jahre neu erbaute eiserne
Schraubendampfschiff
–––––––––––––Johanna Oelssner –––––––––––
während der Anwesenheit im Konsulats-
bezirke mittelst Kaufvertrages vom
14ten August 1889 in das ausschließliche
Eigenthum der Rhedereifirma
Heinrich Vogemann
Hamburg
übergegangen ist. Dem Letzteren steht
das Indigenat*) des Deutschen Reiches
zu.
Als Heimathafen ist Hamburg gewählt.
Das gedachte**) Schiff hat mithin auf
Grund des Kriegsgesetzes vom 25 Oktober 1867
das Recht zur Führung der Deutschen Kriegs-
flagge erworben, und es wird hierüber
gegenwärtiges Attest für die Dauer Eines
Jahres von heute ab mit dem Bemerken
ertheilt, daß dasselbe über dieses Jahr
hinaus nur für die Dauer einer
durch höhere Gewalt verlängerte
Reise Gültigkeit hat.
Die Größe des benannten Dampfers
ist 599,16 Britische Register Tons.
Die Maschine ist 99 nominelle
Pferdekraft.
Middlesbrough den 17ten August 1889
Der Konsul des Deutschen Reichs
Stempel Unterschrift: C. E. Muller
.Der unterzeichnete Konsul des
Deutschen Reiches zu Middlesbrough (England)
bezeugt hiermit, daß das von den
Herren Wm Harkess & Son, Middlesbrough
im hiesigen Konsulatsbezirke in
diesem Jahre neu erbaute eiserne
Schraubendampfschiff
–––––––––––––Johanna Oelssner –––––––––––
während der Anwesenheit im Konsulats-
bezirke mittelst Kaufvertrages vom
14ten August 1889 in das ausschließliche
Eigenthum der Rhedereifirma
Heinrich Vogemann
Hamburg
übergegangen ist. Dem Letzteren steht
das Indigenat*) des Deutschen Reiches
zu.
Als Heimathafen ist Hamburg gewählt.
Das gedachte**) Schiff hat mithin auf
Grund des Kriegsgesetzes vom 25 Oktober 1867
das Recht zur Führung der Deutschen Kriegs-
flagge erworben, und es wird hierüber
gegenwärtiges Attest für die Dauer Eines
Jahres von heute ab mit dem Bemerken
ertheilt, daß dasselbe über dieses Jahr
hinaus nur für die Dauer einer
durch höhere Gewalt verlängerte
Reise Gültigkeit hat.
Die Größe des benannten Dampfers
ist 599,16 Britische Register Tons.
Die Maschine ist 99 nominelle
Pferdekraft.
Middlesbrough den 17ten August 1889
Der Konsul des Deutschen Reichs
Stempel Unterschrift: C. E. Muller
*) Indigenat: Recht auf die Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen (heute: Staatsangehörigkeit)
**) sollte wohl «gekaufte» heißen.
Auch der letzte, die Maschine betreffende Satz zeigt, daß der Schreiber wohl nicht ganz bei der Sache, vielleicht gar alkoholisiert war.
. HRK06-18: Beglaubigung der Schiffsvermessung
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Der Vorstand des Kaiserl. Schiffsvermessungs-Amtes Berlin, den 28ten August 1889
Der Deputation beehre ich mich
ergebenst mitzutheilen, daß das Protokoll
über die Vermessung des Dampfschiffes «Jo-
hanna Oelssner» mir bei der Revision zu
Bemerkungen keinen Anlaß geboten hat.
Der Ausfertigung von Meßbriefen
für das genannte Schiff, dessen Netto.Raum-
gehalt auf 1860,5 cbm = 656,77 Register-Tons
nach der Deutschen Regel und auf 1649,6 cbm
= 582,32 Register-Tons nach der britischen Re-
gel diesseits festgestellt worden ist, steht mit-
hin Nichts entgegen.
Unterschriften
Die Deputation für Handel und Schifffahrt zu Hamburg
.
HRK06-19: Gemäß Schiffs-Zertifikat vom 30. August 1889 ist Heinrich Vogemann alleiniger Eigentümer des Schiffes «Johanna Oelssner». Der Deputation beehre ich mich
ergebenst mitzutheilen, daß das Protokoll
über die Vermessung des Dampfschiffes «Jo-
hanna Oelssner» mir bei der Revision zu
Bemerkungen keinen Anlaß geboten hat.
Der Ausfertigung von Meßbriefen
für das genannte Schiff, dessen Netto.Raum-
gehalt auf 1860,5 cbm = 656,77 Register-Tons
nach der Deutschen Regel und auf 1649,6 cbm
= 582,32 Register-Tons nach der britischen Re-
gel diesseits festgestellt worden ist, steht mit-
hin Nichts entgegen.
Unterschriften
Die Deputation für Handel und Schifffahrt zu Hamburg
. HRK06-20: Bereits am 16. Dezember 1889 hatte das Schiff vier weitere Eigentümer:
1. 40/100 Handelsfirma Heinrich Vogemann, Hamburg
2. 31/100 Kaufmann August Wilhelm Oelssner, Leipzig
3. 15/100 Bergingenieur Carl Friedrich Kästner, Zwickau
4. 4/100 Kaufmann Alexander Clemens Müller, Hamburg
5. 10/100 Schiffscapitain Johann Friedrich Sander, Vegesack
. HRK06-21: Interessant ist auch die Bemerkung auf dieser Folgeseite:
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Die Interessenten
sind als sächsische Un-
terthanen, beziehungs-
weise Hamburgische
und Bremische Bürger
im Besitz des Indigenats
des Deutschen Reiches.
sind als sächsische Un-
terthanen, beziehungs-
weise Hamburgische
und Bremische Bürger
im Besitz des Indigenats
des Deutschen Reiches.
. HRK06-22: In einem weiteren Blatt werden die Streichungen auf der ersten Seite als durch weitere Teilhaber bedingt erklärt:
Am 25. September 1890 wurden 5/100 von Oelßner an den Kaufmann Hermann Wilhelm Meyerowitz in St. Petersburg verkauft.
Am 25. Juni 1891 wurden je 1/100 von Vogemann an den Domainenrath Heinrich Matthias, Hameln und an den Oberamtmann Christian Kindt, Braunschweig verkauft.
Es würde zu weit führen, alle Eigentumsveränderungen der «Johanna Oelssner» aufzulisten, deshalb hier nur die wichtigsten Ereignisse in der Folgezeit:
1896 ist Wilhelm Oelßner im Besitz von 72/100 der Schiffsanteile. Die Firma H.Vogemann hat keine Anteile mehr am Schiff.
1906 einen Monat nach dem 50. Firmenjubiläum stirbt Wilhelm Oelßner und vermacht seinen Anteil an die Firma Gerhard & Hey.
Diese versucht danach die anderen Schiffsanteile zu erwerben.
. HRK06-23: 1909 verkauft ein Bevollmächtigter des inzwischen «geisteskranken» Capitain Sander - zuletzt Kapitän der «Wilhelm Oelssner» - dessen Anteil an Gerhard & Hey.
. HRK06-24: 2011, am 24. April verkauft die Firma Gerhard & Hey das Schiff «Johanna Oelssner», möglicherweise zum Abwracken, an eine englische Firma.
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