90 Jahre alte Modellbau-Fotos
Verfasst: 16.07.2022 13:45
90 Jahre alte Modellbau-Fotos
Eigentlich bin ich Ahnenforscher und schreibe über Familiengeschichte. So habe ich zufällig in einem alten Fotoalbum Bilder entdeckt, die für „Schrauber“ sicher dokumentarischen Wert haben. Norbert Klimmek hat sie modelltechnisch zugeordnet und mich zu diesem Artikel animiert. Ihm möchte ich ausdrücklich danken!
. Der stolze Bauherr dieses Turm-Drehkranes aus dem Märklin Metallbaukasten Nr. 6 ist Ferdi(nand) Zerlauth, * 30.4.1916 in Bludenz, Ö. Das Foto dürfte also 1930 aufgenommen worden sein.
NK: Dieser größte Kasten Nr. 6 kostete 1930 in einem Karton mit Einsatz RM 125,- und als ‚Prachtgeschenk‘ in einem verschließbaren Holzkasten, ebenfalls mit einem Einsatz, RM 155,-. Ein 6er Kasten enthielt zu dieser Zeit 2092 Teile, wobei die darin enthaltenen 650 Schrauben mit einer Mutter jeweils als ein Teil zählten. Die Modelle des Turmdrehkrans, des Karussells und der Klappbrücke fanden sich von 1919 - 32 im Anlei-tungsheft Nr. 71
Den Baukasten hat ihm mit Sicherheit sein Großvater Dominik Birchler geschenkt, der 1929 nach 40 Jahren als (technischer) Direktor der Suchard Schokolade Bludenz in Pension gegangen ist. Ferdi war sein ältester Enkel. Der Preis des Kastens entsprach etwa einem Arbeiter-Monatsgehalt (das waren RM 175 lt. statistischem Bundesamt).
Vermutlich war der Kasten ein Geschenk zu Weihnachten. Der Bau des ersten Modells „Karussell“ dürfte etwas länger gedauert haben und hat das Wohnzimmer der Familie Zerlauth wohl lange blockiert. Dieses, vom Opa gemachte Foto des ersten fertigen Modells, zeigt alle Familienmitglieder ziemlich genervt.
. NK: Karussell nach dem Bauvorschlag No. 612 des Anleitungsheftes No. 71 mit zwei Wagen, zwei Schaukeln und vier 'Hexenkesseln', die beim Betrieb des Karussells durch einen Schnurantrieb eine eigene Drehbewegung ausführen. Angetrieben wurde das Karussell mit normalem Netzstrom durch den Elektromotor Nr. 30 mit einem Lampen-Vorwiderstand. Beides plus einige Kleinteile enthielt der Kasten No. 301 "Elektromotor" für RM 36,-.
Die folgenden Bilder sind im Hof des Hauses Turmstraße 2 in Bludenz entstanden.
. NK: Ferdi mit der Klappbrücke No. 615 aus demselben Anleitungsbuch. Die Präsentation des fast 3 m langen Modells erforderte einiges an Vorbereitungen, wie die beiden Tische im Hof des Hauses erahnen lassen. Offenbar ist der Erbauer gerade damit beschäftigt, die Schnüre für den Antrieb der beiden beweglichen Brückenteile zu ordnen.
Das Interesse am Modellbau hat sich fortgesetzt: auf diesen Bildern ist Ferdi 17/18 Jahre alt, nicht mehr fern der Matura (=Abitur). Wir schreiben das Jahr 1933/34.
Auf welche Schule Ferdi gegangen ist, habe ich leider nicht herausbekommen. In Bregenz gab es seit 1908 eine „höhere technische Lehranstalt“, in die Jungen nach der Unterstufe des Gymnasiums wechseln konnten, also 14-15jährig. Von Bludenz aus war die in einer knappen Stunde per Zug erreichbar. Ab 1930 könnte er die besucht haben.
. NK: Dieses Bild zeigt eine Auflagerseite einer großen Brücke und ein Feuerwehrauto mit ausfahrbarer Drehleiter nach dem Modellvorschlag No. 778 des Anleitungsbuches No. 76. Demnach hat Opa Birchler inzwi-schen den großen Zusatzkasten Maschinen- und Brückenbau Nr. 105/2 mit diesem Anleitungsheft spendiert, der viele Spezialteile enthielt, die in den normalen Kästen nicht vorkamen. 1932 kostete ein solcher Kasten RM 36.
Das bemerkenswerteste Modell ist sicher dieser Eigenbau einer Ae 7/4, der damals stärksten und mo-dernsten Elektrolok der Schweizer Eisenbahnen SBB.
. NK: Sie ist ein Selbstbaumodell - vermutlich Spurweite II = 64 mm - ohne Vorlage aus einem Märklin Heft. Die Lok ist ähnlich der Märklin Spur I E-Lok Nr. HS 65/13021, die 45 cm lang ist. In Spur II wäre sie dann 64 cm lang, was auch ein glaubhaftes Maß für den Tischdurchmesser ist. Der Aufbau scheint aus dünnem Blech und Messingdraht für die Griffstangen hergestellt zu sein.
. Zum Vergleich ein Bild des Original. (Quelle: Wikipedia)
Dass Ferdi eine Lok gebaut hat, ist nicht überraschend, war sein Vater doch stellvertretender Leiter des Bludenzer Bahnhofs (Oberrevident), bis er 1933 frühpensioniert wurde, vermutlich im Rahmen einer Sparmaßnahme.
Die Lok-Nummer „10.901“ am Modell sieht denn auch österreichisch aus, eine solche Lok ist aber weder bei der Ö-Bahn noch bei der Montafoner Bahn je gelaufen.
Tatsächlich hat die erste Lok des Typs Ae 7/4 bei der Schweizer SBB die Nummer 10901 bekommen. Auch hier war sicher wieder der Opa maßgeblich, der war nämlich seit Geburt Schweizer und hatte häufig die Suchard AG in Neuchatel (Muttergesellschaft der Suchard Bludenz) zu besuchen. Da wird ihn Ferdi wohl öfter begleitet haben.
Leider gibt es keine weiteren Fotos zu diesem Modell, auch nicht zu deren Antrieb. Dazu bemerkte NK: Peter Hartmann, ein Schrauberfreund aus der Schweiz, der leider bereits verstorben ist, zeigte beim Jahrestreffen 2006 das Prinzip des bei dieser Lok verwendeten Buchli-Antriebs als MBK-Modell:
. Mehr Bilder mit Metallbaukasten-Modellen gibt es leider nicht.
Abschließend noch ein paar Worte zum weiteren Werdegang des Erbauers:
Ferdinand Zerlauth, *30.4.1916, studiert nach der Matura Maschinenbau an der TH Wien (1935-40) und wird im März 1940 Dipl. Ing. (Qu.: Bludenzer Anzeiger 23.3.1940).
1943-1945 Forschungsarbeiten zu Flugmotorenladern und Düsentriebwerken bei der Heinkel AG in Warnemünde (Qu.: Historisches Lexikon der Schweiz). Anfang 1945 wurde der Firmensitz nach Stuttgart verlegt.
. Ferdi Zerlauth, „1.4.1945, zur Erinnerung an meinen Osterbesuch in Bludenz“, Foto-Hilt, Stuttgart-Zuffenhausen
Ab 1947 bis zu seiner Pensionierung 1981 arbeitete er bei der Sulzer AG in Winterthur zunächst weiter an Triebwerken, dann Turboladern für Dieselmotoren, ab 1957 konzipierte er industrielle Gasturbinen. Für deren Weiterentwicklung zur Blockbauweise (spart Platz und Gewicht) erhielt er 1982 den Ehrendoktor der ETH Zürich (Qu.: Historisches Lexikon der Schweiz).
Ferdinand hat im Juni 1948 in Winterthur die Kriegerwitwe Ernestina Griesbacher, geb. Klaffensack, geheiratet (Qu.: Bludenzer Anzeiger 9.7.1948). Sie stammte aus der Nähe von Graz und hatte zwei kleine Töch-ter, Margit und Doris. Weitere Kinder hat die Familie nicht bekommen. Um 1980 ist die Familie nach Graz gezogen, dort ist Ferdinand 85jährig am 17.3.2002 gestorben.
Franz Schütte, Feldkirch / Österreich
Eigentlich bin ich Ahnenforscher und schreibe über Familiengeschichte. So habe ich zufällig in einem alten Fotoalbum Bilder entdeckt, die für „Schrauber“ sicher dokumentarischen Wert haben. Norbert Klimmek hat sie modelltechnisch zugeordnet und mich zu diesem Artikel animiert. Ihm möchte ich ausdrücklich danken!
. Der stolze Bauherr dieses Turm-Drehkranes aus dem Märklin Metallbaukasten Nr. 6 ist Ferdi(nand) Zerlauth, * 30.4.1916 in Bludenz, Ö. Das Foto dürfte also 1930 aufgenommen worden sein.
NK: Dieser größte Kasten Nr. 6 kostete 1930 in einem Karton mit Einsatz RM 125,- und als ‚Prachtgeschenk‘ in einem verschließbaren Holzkasten, ebenfalls mit einem Einsatz, RM 155,-. Ein 6er Kasten enthielt zu dieser Zeit 2092 Teile, wobei die darin enthaltenen 650 Schrauben mit einer Mutter jeweils als ein Teil zählten. Die Modelle des Turmdrehkrans, des Karussells und der Klappbrücke fanden sich von 1919 - 32 im Anlei-tungsheft Nr. 71
Den Baukasten hat ihm mit Sicherheit sein Großvater Dominik Birchler geschenkt, der 1929 nach 40 Jahren als (technischer) Direktor der Suchard Schokolade Bludenz in Pension gegangen ist. Ferdi war sein ältester Enkel. Der Preis des Kastens entsprach etwa einem Arbeiter-Monatsgehalt (das waren RM 175 lt. statistischem Bundesamt).
Vermutlich war der Kasten ein Geschenk zu Weihnachten. Der Bau des ersten Modells „Karussell“ dürfte etwas länger gedauert haben und hat das Wohnzimmer der Familie Zerlauth wohl lange blockiert. Dieses, vom Opa gemachte Foto des ersten fertigen Modells, zeigt alle Familienmitglieder ziemlich genervt.
. NK: Karussell nach dem Bauvorschlag No. 612 des Anleitungsheftes No. 71 mit zwei Wagen, zwei Schaukeln und vier 'Hexenkesseln', die beim Betrieb des Karussells durch einen Schnurantrieb eine eigene Drehbewegung ausführen. Angetrieben wurde das Karussell mit normalem Netzstrom durch den Elektromotor Nr. 30 mit einem Lampen-Vorwiderstand. Beides plus einige Kleinteile enthielt der Kasten No. 301 "Elektromotor" für RM 36,-.
Die folgenden Bilder sind im Hof des Hauses Turmstraße 2 in Bludenz entstanden.
. NK: Ferdi mit der Klappbrücke No. 615 aus demselben Anleitungsbuch. Die Präsentation des fast 3 m langen Modells erforderte einiges an Vorbereitungen, wie die beiden Tische im Hof des Hauses erahnen lassen. Offenbar ist der Erbauer gerade damit beschäftigt, die Schnüre für den Antrieb der beiden beweglichen Brückenteile zu ordnen.
Das Interesse am Modellbau hat sich fortgesetzt: auf diesen Bildern ist Ferdi 17/18 Jahre alt, nicht mehr fern der Matura (=Abitur). Wir schreiben das Jahr 1933/34.
Auf welche Schule Ferdi gegangen ist, habe ich leider nicht herausbekommen. In Bregenz gab es seit 1908 eine „höhere technische Lehranstalt“, in die Jungen nach der Unterstufe des Gymnasiums wechseln konnten, also 14-15jährig. Von Bludenz aus war die in einer knappen Stunde per Zug erreichbar. Ab 1930 könnte er die besucht haben.
. NK: Dieses Bild zeigt eine Auflagerseite einer großen Brücke und ein Feuerwehrauto mit ausfahrbarer Drehleiter nach dem Modellvorschlag No. 778 des Anleitungsbuches No. 76. Demnach hat Opa Birchler inzwi-schen den großen Zusatzkasten Maschinen- und Brückenbau Nr. 105/2 mit diesem Anleitungsheft spendiert, der viele Spezialteile enthielt, die in den normalen Kästen nicht vorkamen. 1932 kostete ein solcher Kasten RM 36.
Das bemerkenswerteste Modell ist sicher dieser Eigenbau einer Ae 7/4, der damals stärksten und mo-dernsten Elektrolok der Schweizer Eisenbahnen SBB.
. NK: Sie ist ein Selbstbaumodell - vermutlich Spurweite II = 64 mm - ohne Vorlage aus einem Märklin Heft. Die Lok ist ähnlich der Märklin Spur I E-Lok Nr. HS 65/13021, die 45 cm lang ist. In Spur II wäre sie dann 64 cm lang, was auch ein glaubhaftes Maß für den Tischdurchmesser ist. Der Aufbau scheint aus dünnem Blech und Messingdraht für die Griffstangen hergestellt zu sein.
. Zum Vergleich ein Bild des Original. (Quelle: Wikipedia)
Dass Ferdi eine Lok gebaut hat, ist nicht überraschend, war sein Vater doch stellvertretender Leiter des Bludenzer Bahnhofs (Oberrevident), bis er 1933 frühpensioniert wurde, vermutlich im Rahmen einer Sparmaßnahme.
Die Lok-Nummer „10.901“ am Modell sieht denn auch österreichisch aus, eine solche Lok ist aber weder bei der Ö-Bahn noch bei der Montafoner Bahn je gelaufen.
Tatsächlich hat die erste Lok des Typs Ae 7/4 bei der Schweizer SBB die Nummer 10901 bekommen. Auch hier war sicher wieder der Opa maßgeblich, der war nämlich seit Geburt Schweizer und hatte häufig die Suchard AG in Neuchatel (Muttergesellschaft der Suchard Bludenz) zu besuchen. Da wird ihn Ferdi wohl öfter begleitet haben.
Leider gibt es keine weiteren Fotos zu diesem Modell, auch nicht zu deren Antrieb. Dazu bemerkte NK: Peter Hartmann, ein Schrauberfreund aus der Schweiz, der leider bereits verstorben ist, zeigte beim Jahrestreffen 2006 das Prinzip des bei dieser Lok verwendeten Buchli-Antriebs als MBK-Modell:
. Mehr Bilder mit Metallbaukasten-Modellen gibt es leider nicht.
Abschließend noch ein paar Worte zum weiteren Werdegang des Erbauers:
Ferdinand Zerlauth, *30.4.1916, studiert nach der Matura Maschinenbau an der TH Wien (1935-40) und wird im März 1940 Dipl. Ing. (Qu.: Bludenzer Anzeiger 23.3.1940).
1943-1945 Forschungsarbeiten zu Flugmotorenladern und Düsentriebwerken bei der Heinkel AG in Warnemünde (Qu.: Historisches Lexikon der Schweiz). Anfang 1945 wurde der Firmensitz nach Stuttgart verlegt.
. Ferdi Zerlauth, „1.4.1945, zur Erinnerung an meinen Osterbesuch in Bludenz“, Foto-Hilt, Stuttgart-Zuffenhausen
Ab 1947 bis zu seiner Pensionierung 1981 arbeitete er bei der Sulzer AG in Winterthur zunächst weiter an Triebwerken, dann Turboladern für Dieselmotoren, ab 1957 konzipierte er industrielle Gasturbinen. Für deren Weiterentwicklung zur Blockbauweise (spart Platz und Gewicht) erhielt er 1982 den Ehrendoktor der ETH Zürich (Qu.: Historisches Lexikon der Schweiz).
Ferdinand hat im Juni 1948 in Winterthur die Kriegerwitwe Ernestina Griesbacher, geb. Klaffensack, geheiratet (Qu.: Bludenzer Anzeiger 9.7.1948). Sie stammte aus der Nähe von Graz und hatte zwei kleine Töch-ter, Margit und Doris. Weitere Kinder hat die Familie nicht bekommen. Um 1980 ist die Familie nach Graz gezogen, dort ist Ferdinand 85jährig am 17.3.2002 gestorben.
Franz Schütte, Feldkirch / Österreich